Von der Idee bis zur Umsetzung dauert es nur ein paar Tage. Und selbst für diesen Zeitraum bin ich als ungestümer Widder eigentlich zu ungeduldig. Zunächst braucht es 25 Bücher. Sofort. Eigentlich ist „sofort“ eine Aufgabe für den Buchhändler meines Vertrauens. Davon gibt es in meiner kleinen Stadt gleich mehrere. Das ist schon ein Privileg, wenn es noch mehrere Inhaber geführte Buchhandlungen, in denen man stöbern kann, in denen man belesenen Rat bekommt und die einem jedes im Bestand nicht vorhandene Buch zum nächsten Tag bestellen und auf Wunsch sogar nach Hause liefern. Meine erste Handlung – die Buchhändler haben Sperrstunde – ist eine Online-Recherche. Überrascht stelle ich dabei fest, dass es nicht nur die mir geschenkte Version des Buches gibt, sondern noch eine ein paar Zentimeter größere Version – auch gebunden, aber mit einem Schutzumschlag statt des direkt bedruckten Kartons meiner Ausgabe. Und von dieser Version scheint es eine höhere Auflage zu geben, denn die Preisrecherche ergibt einen Gebrauchtmarkt. Jenen bemühe ich dann und erstehe gebrauchte Bücher. Warum man dieses Büchlein wieder verkauft, werde ich nicht verstehen, aber mir kommt es nun zu Gute. Kann man eigentlich beim Gebrauchtbuchkauf wie selbstverständlich davon ausgehen, das diese auch gelesen sind? Beim Durchblättern bin ich mir nicht so sicher. Dieses verdächtige Knacken, wie es nur beim ersten Öffnen eines Buches zu hören ist, die unberührten Seiten ohne jede Spur von geblättert habenden Fingern, ohne Notizen, ohne jeden Hinweis auf eine Vor-Leserin oder einen Vor-Leser. Natürlich. So ist sicher die Idealvorstellungen beim Kauf außerhalb von Buchhandlungen. Aber merkwürdig erscheint es mir doch. Ich schaue in mein Regal: Ungelesene Bücher stehen da einige. Bücher, deren Zeit noch nicht gekommen ist. Bücher, deren Zeit eigentlich vorbei ist. Selbst Gekauftes, Geschenktes, Doppeltes. Bücher in zweiter Reihe. Bücher, deren Schutzumschlag seine Aufgabe übererfüllt hat. Ich fasse mich dann mal an die eigene Nase.
Manch Schutzumschlag der bei mir eintreffenden Ausgaben hat seine beste Zeit hinter sich. Wie das zu dem jungfräulichen Innenleben passt, erschließt sich mir nicht. Immerhin müssen die Bücher manchen Ortswechsel hinter sich gebracht haben. Vielleicht keine schlechte Vorbereitung auf eine Lesereise. Gedruckt worden sind sie übrigens allesamt in Leck, in einem Städtchen nur eine gute Stunde von meinem Städtchen entfernt. Den Ort kennt kaum ein Mensch außerhalb des Bundeslandes, in dem er liegt. Aber aus ihm kommende Produkte dürfte jeder lesende Mitbürger schon einmal in der Hand gehabt haben. Während der Druckphase der Harry Potter-Romane glich die Druckerei einem Hochsicherheitstrakt. Keine gedruckte Seite, auch kein Fehldruck, durfte das Haus, den Ort, das Land verlassen.
Gelesene Bücher dürfen gelesen wirken. Das zeigt doch erst die Geschichte vor oder hinter der Geschichte. Ich befreie die Büchlein also vom Schutz. Diesen zerteile ich und klebe das Frontmotiv auf einen schwarzen Karton. Auf der Rückseite des Kartons befestige ich die „Bedienungsanleitung“ dieser Lesereise ohne Autor. Jedes Büchlein wird nummeriert und ich beginne jeweils eine Liste für die Eintragungen der Leserinnen und Leser. So präpariert werden die Bücher zusammen mit einer kurzen aber herzlichen Grußkarte in Briefumschläge gesteckt, jene ausreichend frankiert und stehen nun für die Reise bereit. Aber morgen ist ein neuer Tag.